Du hast bestimmt auch schonmal von dem „Neutralitätsgebot“ gehört, dem Lehrkräfte verpflichtet sein sollen, oder vom Beutelsbacher Konsens, auf den oft im selben Atemzug Bezug genommen wird.
Gerade in den letzten Wochen und Monaten haben rechte Personen diese vermeidlichen Vorgaben immer wieder erwähnt, um damit gegen Lehrkräfte zu hetzen, die sich im Unterricht für Demokratie, Menschenrechte, Diversität und Toleranz einsetzen.
Laut diesen rechten Personen seien Lehrkräfte im Unterricht zur Neutralität verpflichtet und dürften sich zu aktuellen (politischen) Situationen nicht äußern. Diese Hetze führt bei vielen Lehrkräften zu Verunsicherung. Obwohl ich den Eindruck habe, dass bereits viel über das sogenannte „Neutralitätsgebot“ aufgeklärt wird, möchte ich es mir dennoch nicht nehmen lassen, auch hier darüber aufzuklären, was es damit auf sich hat und welche Rechte und Pflichten Lehrkräfte nun tatsächlich haben.
Aber vielleicht fange ich zuerst einmal damit an, was der Beutelsbacher Konsens eigentlich ist. Der Beutelsbacher Konsens wurde in den 1970er Jahren als Antwort auf die Studierendenunruhen entwickelt. Er umfasst drei Punkte, die bis heute für den schulischen Bereich und staatliche Bildungsträger gelten:
- Indoktrinationsverbot – Schüler:innen sollen zu Mündigkeit und selbstständiger Urteilsbildung befähigt werden. Lehrkräfte dürfen Ihnen deshalb keine Meinung aufdrücken.
- Betrachtung kontroverser Haltungen und Perspektiven, damit eine eigenständige Meinungsbildung möglich ist.
- Befähigung der Schüler:innen zu einer (selbst)reflektierten Analyse eigener Interessen und politischer Situationen. [1]
In den Leitlinien des Beutelsbacher Konsens wird deutlich, dass Lehrkräfte dazu verpflichtet sind, mehrere Seiten in einer politischen Diskussion zu beleuchten und ein Thema nicht einseitig im Unterricht besprechen dürfen. Doch nicht nur dieser Konsens gilt für Lehrkräfte. Im Beamtenstatusgesetz §33 Absatz 2 heißt es:
„Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.“[2]
Auch hier wird dieses Indoktrinationsverbot deutlich, denn Lehrkräften ist es tatsächlich verboten im Unterricht Parteipolitik zu betreiben. Jetzt fragst du dich vielleicht, was mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung ist. Ja, dieses Recht gilt selbstverständlich auch für Lehrkräfte, allerdings wird es durch das oben genannte Gesetz eingeschränkt. „Beamtenrechtlich sind Lehrerinnen und Lehrer verpflichtet, ihre Aufgaben unparteiisch zu erfüllen, sich durch ihr ganzes Verhalten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für den Erhalt dieser Grundordnung einzutreten.“[3] Und genau das ist der Knackpunkt: Lehrkräfte bekennen sich bei Antritt ihres Amtes zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und sind verpflichtet für ebendiese einzustehen. Das bedeutet, dass in der Schule Werte, wie Toleranz, Menschenrechte, Demokratie und Offenheit von zentraler Bedeutung sind. Parteien wie die AfD, die diese Werte nachweislich und offen nicht vertreten, haben daher keine Legitimation an der Schule. Lehrkräften dürfen und sollten sich klar gegen die AfD und andere Parteien, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen, aussprechen. In den „Richtlinien Bildungs- und Erziehungsgrundsätze für die allgemeinbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen (2023)“ wird dies sehr treffend formuliert:
„Schule ist kein werteneutraler Ort. Pädagogisches Handeln in Schule ist von demokratischen Werten und Haltungen getragen, die sich zudem aus den Grundrechten des Grundgesetzes und aus den Menschenrechten, aus der Landesverfassung und dem Schulgesetz ableiten lassen. Davon ausgehend unterstützt Schule die Schülerinnen und Schüler bei der selbständigen Entwicklung ihrer Haltungen. Aufgabe der Schule ist es, die Voraussetzungen für ein regelbasiertes Zusammenleben innerhalb der Schule selbst wie selbstverständlich in allen Kontexten darüber hinaus zu fördern und dieses einzufordern.“ (S. 5) [4]
Bei genauerer Betrachtung dieses Themas, ist dies auch nur logisch. Denn wir wollen Menschen heranziehen, die selbstbestimmt und politisch gebildet sind. Da müssen wir als Lehrkräfte doch Vorbilder sein und zeigen, wie politische Meinungsbildung funktioniert. Wir als Lehrkräfte sind Verteidiger: innen der Menschenrechte und der Demokratie und verpflichten uns zur Vermittlung einer reflektierten Meinungsbildung.
Fazit:
- Kontroverse Themen sollen in der Schule thematisiert werden.
- ABER: Alles, was gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstößt, darf in der Schule keinen Raum finden und steht nicht zur Diskussion.
- Lehrkräfte dürfen eine Meinung äußern, sie dürfen Sie den Schüler:innen aber nicht aufzwingen. Stattdessen darf sie begründet und konstruktiv diskutiert werden
- Schule ist KEIN neutraler Raum!
[1] Pohl, K. (2015): Kontroversität: Wie weit geht das Kontroversitätsgebot für die politische Bildung?. https://www.bpb.de/lernen/politische-bildung/193225/kontroversitaet-wie-weit-geht-das-kontroversitaetsgebot-fuer-die-politische-bildung/
[2] Beamtenstatusgesetz; https://beamtenstatusgesetz.net/paragraph-33
[3] Wieland, J. (2019): Was man sagen darf: Mythos Neutralität in Schule und Unterricht. https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/292674/was-man-sagen-darf-mythos-neutralitaet-in-schule-und-unterricht/
[4] Richtlinien Bildungs- und Erziehungsgrundsätze für die allgemeinbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen (2023). https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/upload/RiLi2023/Entwurf_RiLi_VerbBtlg_2023_08_18.pdf
Weiterführende Literatur:
https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/lehrkraefte-muessen-nicht-neutral-sein