Demokratiebildung im Fachunterricht

Vor kurzem war Europawahl und das Wahlergebnis hat mich in den letzten Tagen sehr nachdenklich gemacht. Für mich persönlich ist es in keiner Weise nachvollziehbar, wie ein solches Wahlergebnis zustande kommen kann und es schockiert mich zutiefst, wie die Wahl insbesondere in meiner Generation ausgefallen ist. Natürlich kommt in Gesprächen über mögliche Gründe für die Wahlentscheidungen der jungen Menschen auch immer wieder das Thema Bildung auf und inwiefern die Schulen an der Stelle vielleicht versagt haben. Ich finde es wichtig, dass Schulen hier in den Blick genommen werden, allerdings soll es in diesem Beitrag nicht um Kritik am Schulsystem gehen. Vielmehr möchte ich ein paar konkrete Vorschläge machen, wie Demokratiebildung im (Fach-)Unterricht eingebaut werden kann.

Zuerst erkläre ich jedoch einmal, was es mit dem Begriff Demokratiebildung überhaupt auf sich hat. Demokratiebildung meint die Vermittlung und Lehre von demokratischen Werten, Strukturen und Verfassungsprinzipien. Denn nur wer die eigenen Mitgestaltungsmöglichkeiten in Gesellschaft und Politik, sowie die Grundrechte kennt, kann ein selbstbestimmtes Leben in unserer Demokratie führen und sich für eigene Interessen einsetzen.[1]

Die Kultusministerkonferenz hat die Bedeutung von Demokratiebildung sehr schön auf den Punkt gebracht:„Ziel der Schule ist es daher, das erforderliche Wissen zu vermitteln, Werthaltungen und Teilhabe zu fördern sowie zur Übernahme von Verantwortung und Engagement in Staat und Gesellschaft zu ermutigen und zu befähigen. Es ist ihre Aufgabe, entsprechende Lerngelegenheiten in unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Handlungs- und Anforderungssituationen zu organisieren. Die gelebte Demokratie muss ein grundlegendes Qualitätsmerkmal unserer Schulen sein. Aus diesen Zusammenhängen ergibt sich eine demokratische Schul- und Unterrichtsentwicklung als Querschnittsaufgabe.“[2]

Es gibt sowohl schulstrukturelle Maßnahmen, die eine Demokratisierung der Schulkultur fördern können, wie zum Beispiel ein Schüler*innenparlament einzuführen, als auch Fachinterne Maßnahmen, die Demokratiebildung fördern können. In diesem Beitrag soll es spezifisch um den Fachunterricht gehen, da dies meiner Meinung nach niederschwelligere Maßnahmen sind, die auch unabhängig von anderen Einflussfaktoren umgesetzt werden können.

Konkrete Vorschläge zur Demokratiebildung im Fachunterricht:

Deutsch

Demokratiebildung im Unterricht kann auf vielfältige Weise gelingen. Fördere zum Beispiel die Diskussionsfähigkeit, indem du die Schüler*innen dazu anregst, Meinungen zu begründen und respektvoll zu debattieren. Du kannst auch Diskussionen leiten und gelingende und misslingende Kommunikation thematisieren. Im schriftlichen Bereich können die Schüler*innen differenzierte Erörterungen verfassen, bei denen sie Argumente finden, analysieren und bewerten.

Auch kannst du die Recherche von Informationen und deren kritische Auswertung anregen. Lass deine Schüler*innen fremde Lebenswelten erkunden und mediale Inhalte kritisch analysieren. Der Umgang mit Medien kann gefördert werden, indem du deren Nutzung mit deinen Schüler*innen reflektierst und ihr die Rolle der Medien in der Öffentlichkeit untersucht. Literarische Texte und Sachtexte eignen sich sehr gut, um Themen wie Geschlechterrollen und gesellschaftliche Werte zu diskutieren. Es ist auch möglich Projekte zu organisieren oder gemeinsam mit deinen Schüler*innen eine Schülerzeitung zu erstellen. Theatralische Projekte und die Analyse von Werbestrategien sind weitere kreative Ansätze zur Demokratiebildung.

Erdkunde/Geografie

In Erdkunde bzw. Geographie kannst du mit deinen Schüler*innen systemisch natur- und gesellschaftswissenschaftliche Prozesse analysieren und bewerten. Räume im Sinne der Nachhaltigkeit können untersucht und Grund- und Menschenrechte sowie globale Gerechtigkeit thematisiert werden. Eine Beurteilung zukunftsfähiger Lösungsansätze und deren politischer, ethischer und sozialer Implikationen kann auch sehr interessant sein.

Die Handlungskompetenz im System Mensch-Erde kann durch geographische Kompetenzen gefördert werden, wie verantwortungsvolle Konsumentscheidungen und Engagement für Nachhaltigkeit. Dazu können Rollenspiele genutzt werden. Entwickle mit deinen Schüler*innen Handlungsansätze für klimaneutrale Lebensweisen, z.B. über Planspiele und Szenarien. Interessant kann auch eine Erkundung der Stadtentwicklung durch lokale Agenda 21 und Zukunftswerkstätten sein oder eine Betrachtung der Stadt-, Raum- und Regionalplanung auf verschiedenen Ebenen. Auch Handlungsmöglichkeiten in der Entwicklungszusammenarbeit und das Thema Generationenvertrag im Kontext Wasserversorgung und Klimawandel sind spannende Bereiche.

Künstlerisch-musische Fächer

Nutze bildende Kunst und Musik, um unterschiedliche Lebensformen und -entwürfe zu reflektieren. Thematisiere zum Beispiel die Kunstfreiheit nach Art. 5 Grundgesetz und die Abhängigkeit von Kunst und Musik von gesellschaftlichen und politischen Bedingungen.

Eine Möglichkeit ist, die Vielfalt musisch-künstlerischer und ethischer Aspekte zu betonen und die Individualität und Originalität deiner Schüler*innen zu stärken. Plane und organisiere mit ihnen Konzerte, Ausstellungen oder Kulturwochen. Kooperationen mit Partner*innen wie Jugendmusikschulen oder Jugendzentren können dabei hilfreich sein. Du kannst Musik und Kunstwerke auf ihre gesellschaftlich-politischen Botschaften analysieren und die Rolle der Künstler*innen in der Gesellschaft thematisieren. Setze Theaterarbeit ein, um demokratierelevante Themen und Methoden zu vermitteln. Es ist auch möglich gemeinsam Bewertungsrichtlinien zu entwickeln und abzustimmen, um kooperative Arbeitsformen zu stärken.

MINT-Fächer

Die naturwissenschaftliche Allgemeinbildung zu fördern ist die Voraussetzung für individuelle Urteilsfähigkeit und gesellschaftliche Weiterentwicklung. In diesem Bereich kannst du mit den Schüler*innen Zukunftsfragen wie Mobilität, Gentechnik und Künstliche Intelligenz thematisieren. Diskutiere dabei Chancen und Risiken und stelle Meinungen datenbasierten Fakten gegenüber. Möglich ist auch, die Zusammenhänge zwischen Naturwissenschaft, Technik und Gesellschaft zu reflektieren. Beim Umgang mit Medien kannst du den Übergang vom Konsumierenden zum mündigen Gestaltenden fördern. Thematisiere globale Probleme und lokales Handeln sowie individuelles Engagement.

Auch eine Ermutigung zur Forschung in Netzwerken und Kooperationen, sowie die Analyse interessengeleiteter Statistiken können hier angebracht sein. Nutze Fachbuchreihen und Fachzeitschriften, um „Scientific Literacy“ zu fördern. Auch kannst du Technikfolgenabschätzungen und ethische Fragen zu naturwissenschaftlichen Themen im Unterricht ansprechen. Vermittle soziale Verantwortung im digitalen Raum, insbesondere bezüglich „Fake News“ und Datenschutz. Zur Förderung der Forschung zur Nachhaltigkeit können Simulationen zu Themen wie Klimawandel genutzt werden. Ein wertvoller Beitrag kann auch durch lokales Engagement geleistet werden, z.B. durch Petitionen, und Kooperationen mit Institutionen wie außerschulischen Forschungszentren.

Religionslehre, Ethik und Philosophie

In den Fächern Religion, Ethik und Philosophie können die Menschenrechte und Menschenwürde thematisiert werden, z.B. Gottebenbildlichkeit und den Aufklärungsgedanken. Hier bietet sich auch ein Vergleich von Wert- und Normvorstellungen inter- und intrakulturell, religiös und historisch an. Fördere die Achtung Andersdenkender oder -gläubiger als grundlegendes Prinzip und thematisiere Glaubens- und Gewissensfreiheit nach Art. 4 Grundgesetz sowie mögliche Spannungsfelder.

Du kannst Handlungsmöglichkeiten für einen wertorientierten Umgang miteinander entwickeln und Vorstellungen zu einem guten Leben für alle besprechen. Auch Regeln und Regelverstöße sowie Modelle beispielhaften Verhaltens können diskutiert werden. Übe mit deinen Schüler*innen Handlungsmöglichkeiten in Konfliktsituationen und unterschiedliche Formen von Gerechtigkeit, Freiheit und Verantwortung. Eine Möglichkeit ist auch, Planspiele durchzuführen. Verwende Literatur zur Diskussion ethischer Fragen und nutze Videos und Spiele zu Gerechtigkeit und Kommunikation, um Diversität und Gemeinsamkeiten erfahrbar zu machen.

Das ist nur eine kleine Auswahl an Möglichkeiten, die vor allem zeigen soll, wie vielseitig Demokratiebildung ist und dass ihrer Umsetzung kaum Grenzen gesetzt sind. Die Tipps hier habe ich übrigens aus dem Leitfaden zur Demokratiebildung von der Landesbildungszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Auch zu anderen Fächern gibt es dort Hinweise und Anregungen. Du kannst dir den Leitfaden als PDF unter dem unten aufgeführten Link herunterladen. Demokratie geht uns alle was an. Es ist unsere Pflicht als Lehrkräfte, unsere Schüler*innen auf das Leben in einer demokratischen Gesellschaft vorzubereiten und ihnen zu vermitteln, was für ein Privileg es ist, in einem demokratischen Staat zu leben.


[1] lpb Baden-Württemberg: Demokratiebildung in der Schule. https://www.lpb-bw.de/demokratiebildung-konzept [zuletzt aufgerufen: 14.06.2024]

[2] KMK-Beschluss: Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule. https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2009/2009_03_06-Staerkung_Demokratieerziehung.pdf [zuletzt aufgerufen: 14.06.2024]

2 Gedanken zu „Demokratiebildung im Fachunterricht

  1. Ich gehöre nicht zu den Lehrkräften und bin auch schon in einem Alter, wo meine Schulzeit lange zurück liegt. Ich hätte mir Deinen Ansatz an Schulbildung mehr als gewünscht. Mich hat das Wahlergebnis der Europawahl ebenso erschreckt wie Dich. Daher möchte ich Dir sagen, dass ich Deine Ansätze und Ideen zur Demokratiebildung sehr beeindruckt haben und ich mir für alle Schüler in ganz Deutschland die Umsetzung in allen Lehrplänen wünschen würde. Wie Du bereits gesagt hast, ist es ein Privileg in einem demokratischen Staat leben zu dürfen! Vielen Dank für Deinen tollen Blog 👍

    1. Hallo Andrea, vielen Dank für deine lieben Worte. Ich freue mich, dass dir mein Beitrag gefällt. Mit Blick auf die täglichen Nachrichten zum erstarkenden Rechtsruck habe ich das Gefühl, dass wir dem Thema viiiieeeel zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Auch in der Lehrer*innenausbildung sollte Demokratiebildung einen deutlich höheren Stellenwert bekommen. Es ist noch viel zu tun und es ist noch viel Luft nach oben.

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