Autorität ohne Autoritarismus?

Vor einigen Monaten bin ich über das Konzept der Neuen Autorität gestolpert – ein Ansatz, der mir zunächst überhaupt gar nichts sagte und mich deshalb neugierig machte. Bei genauerer Recherche wurde relativ schnell klar: Das Konzept wird kontrovers diskutiert. Es beinhaltet spannende Impulse für die pädagogische Praxis, bringt aber auch autoritäre Elemente – wie der Name schon ankündigt – mit sich, die kritisch betrachtet werden können.
Ursprünglich wurde das Konzept für überforderte Eltern entwickelt, die im Umgang mit ihrem Kind keine anderen Auswege mehr sehen. Das erklärt, warum die Neue Autorität weniger auf Kooperation ausgerichtet ist, sondern eher auf klare, konsequente und teils einseitige Handlungen seitens der erwachsenen Bezugspersonen. Dennoch lassen sich einige Gedanken durchaus gewinnbringend in der Schule einsetzen – vor allem dort, wo es darum geht, Kindern und Jugendlichen Orientierung und Beziehungssicherheit zu bieten, ohne auf Macht und Zwang zurückzugreifen.
Die sieben Säulen der Neuen Autorität – und was sie im Schulalltag bedeuten können:


1 Präsenz & wachsame Sorge


Sei als Lehrkraft präsent und aufmerksam. Zeige den Schüler*innen, dass du da bist – nicht nur als Autoritätsperson, sondern als verlässliche Bezugsperson, die wahrnimmt, begleitet und unterstützt.

2 Selbstkontrolle & Eskalationsvorbeugung

Bleibe in schwierigen Situationen handlungsfähig, indem du deine eigenen Gefühle und Reaktionen bewusst steuerst. Das bedeutet nicht, Emotionen zu unterdrücken, sondern sie achtsam zu reflektieren. Im Konfliktverlauf solltest du beharrlich bleiben – nicht im Sinne von stur, sondern im Sinne einer klaren, konsequenten Haltung. Fehler dürfen dabei passieren – wichtig ist eine positive Fehlerkultur, die Entwicklung zulässt.

2 Unterstützungsnetzwerke & Bündnisse


Suche den Schulterschluss mit Kolleg*innen oder weiteren Fachpersonen. Ein gut vernetztes Team kann gemeinsam an Lösungen arbeiten und Kinder besser begleiten. Doch Achtung: Diese Bündnisse sollten nicht dazu dienen, ein Kind „unter Druck“ zu setzen, sondern dazu, verantwortungsvoll und abgestimmt zu handeln.

3 Protest & gewaltloser Widerstand


Ein zentraler Punkt – und einer der umstrittensten. Widerstand bedeutet hier, sich einem problematischen Verhalten klar entgegenzustellen, ohne Gewalt oder Strafen anzuwenden. In der Praxis kann das etwa bedeuten, in einem Raum zu bleiben, wenn ein Kind sich verweigert, und so Präsenz zu zeigen. Doch gerade solche Formen des stillen Protests bergen die Gefahr, als Grenzüberschreitung wahrgenommen zu werden.

4 Versöhnung & Beziehung


Beziehung kommt vor Erziehung. Zeige echtes Interesse am Kind, bleib im Kontakt, auch in und nach einem Konflikt. Die Tür zur Beziehung sollte immer offenbleiben – denn das ist die Basis für Entwicklung und Veränderung.

5 Transparenz


Handel klar und nachvollziehbar. Teile deine Haltung, deine Gefühle und Entscheidungen mit, auf eine gewaltfreie und respektvolle Weise. So können Schüler*innen lernen, wie verantwortliches und reflektiertes Verhalten aussieht.

6 Wiedergutmachung statt Strafe


Wenn etwas schiefläuft, geht es nicht darum, zu bestrafen – sondern zu überlegen, wie ein Fehler wieder gutgemacht werden kann. Das fördert Verantwortungsbewusstsein und stärkt die Fähigkeit zur Konfliktlösung.

An meiner Praxissemesterschule wurden einzelne Elemente des Konzepts bewusst übernommen – andere, kritisch bewertete Aspekte jedoch nicht. So wurde dort eine ausgeprägte positive Fehlerkultur gepflegt, in der Lernende ermutigt werden, aus Fehlern zu lernen. Bei größeren Konflikten sind Wiedergutmachungen fester Bestandteil gewesen. Nur in Ausnahmefällen, wenn problematisches Verhalten sich wiederholt und andere Maßnahmen nicht greifen, entscheiden die Erwachsenen in der Lernlandschaft gemeinsam, einen symbolischen „Schulterschluss“ zu zeigen – stets mit dem Ziel, dem Kind Orientierung zu bieten, nicht es zu beschämen.
Die Neue Autorität bietet durchaus wertvolle Impulse – etwa durch die Betonung von Präsenz, Beziehung und der Vermittlung einer positiven Fehlerkultur. Gleichzeitig fordert sie uns heraus, unsere eigene Haltung in der pädagogischen Arbeit zu reflektieren: Wie übe ich Autorität aus, ohne autoritär zu sein? Wie bleibe ich konsequent, ohne die Beziehung zu gefährden? Im schulischen Kontext braucht es eine sensible, dialogische Umsetzung des Konzepts – eine, die Kinder stärkt, statt sie kleinzumachen. Denn echte Autorität entsteht nicht durch Macht – sondern durch Haltung, Beziehung und Vertrauen.

Quellen:

Institut für Neue Autorität (o.D.). Was bedeutet „Neue Autorität“?. https://www.neueautoritaet.at/%C3%BCber-uns/saeulen-der-neuen-autoritaet.html

Campus Berlin (2025). Neue Autorität – ein pädagogisches Konzept. https://www.campus-berlin.de/blog/neue-autoritaet-ein-paedagogisches-konzept/

Laubenstein (2024). Umgang mit herausforderndem Verhalten von Schüler:innen – Das Konzept der „Neuen Autorität“ – eine kritische Diskussion. https://blogs.uni-paderborn.de/sonderpaedagogik/2024/04/22/umgang-mit-herausforderndem-verhalten-von-schuelerinnen-das-konzept-der-neuen-autoritaet-eine-kritische-diskussion/

Akademie Kind Jugend Familie (o.D.). Haim Omer. https://www.akjf.at/de/speaker/haim-omer/

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