Praxissemesterbericht Nr. 2

Der Besuch

Mehrere Wochen habe ich mich auf diesen Tag vorbereitet. Die Reihe habe ich selbst geplant, konzipiert und ausgearbeitet. Den Ablauf der Stunde bin ich mit verschiedenen Personen durchgegangen, immer wieder habe ich überlegt, wo ich noch etwas optimieren könnte. Bis zum Tag vor dem Besuch war ich sehr entspannt – es wird doch eh nichts bewertet, und am Ende machen wir das alles für uns selbst, oder?

Letztendlich wurde ich dann aber am Abend vorher doch nervös. Zwei Tage zuvor habe ich bei einem anderen Besuch hospitiert und die Stunde war nahezu perfekt verlaufen. Ich selbst bin überzeugt, dass ich eine gute Lehrerin sein werde, dass ich dafür brenne und das gut kann. Das bedeutet, dass auch meine Stunde perfekt laufen muss. Das ist mein Anspruch an mich selbst. Alles unter „sehr gut“ ist nicht gut genug. Eigentlich bin ich weit davon entfernt eine Perfektionistin zu sein. Aber in diesem konkreten Fall ist es anders. Ich will gut sein in meiner Rolle als Lehrerin – nein nicht nur gut. Sehr gut.

Der Morgen des Besuchs verlief jedoch alles andere als optimal. Ich hatte schlecht geschlafen, war zerstreut und hatte vor Aufregung Bauchschmerzen. Gegen 8 Uhr kam ich an der Schule an.  Die Atmosphäre wirkte wuseliger und unruhiger als sonst, was aber auch meiner eigenen Nervosität geschuldet gewesen sein könnte. Ich bereitete die letzten Materialien vor, legte Bildkarten und Lernmaterialien zurecht und beschriftete das Whiteboard. Der Besuch erschien sehr pünktlich. Nach dem Morgenkreis ging es los. Ich habe eine Stunde zum Thema „Was ist Glück?“ vorbereitet. Elf Kinder der ersten und zweiten Klasse nahmen teil, ebenso wie zwei Lehrkräfte, zwei Praxissemesterstudentinnen, mein Fachleiter und ich. Die Kinder saßen mit mir und einer weiteren Erwachsenen im Kreis, während die anderen Erwachsenen außerhalb des Kreises als stille Zuhörer*innen Platz nahmen.

 Zum Einstieg wählte ich ein Ritual, das die Kinder schon aus vorherigen Stunden kannten. In der Mitte lagen Fische, die unterschiedliche Emotionen zeigen. Die Kinder wählten nacheinander einen Fisch aus und begründeten in einem Satz ihre Wahl. Das Ritual bot einen sicheren Einstieg, den die Kinder gut meisterten. Anschließend leitete ich mit einer Frage in das Thema ein: „Erinnerst du dich an einen Moment oder eine Sache, die dich glücklich macht?“ Zur Visualisierung legte ich ein Bild mit glücklichen Kindern in die Mitte des Kreises. Auch hier brachten die Kinder viele Ideen ein, und die Diskussion verlief, wie ich es mir vorgestellt hatte.

In der nächsten Phase durften die Kinder im Raum umhergehen und Bilder betrachten, die verschiedene Situationen des Glücks darstellten, etwa eine Familie am Strand oder ein Erdbeereis. Die Aufgabe war, ein Bild auszuwählen, das sie mit Glück verbanden. Hier lief nicht alles wie geplant: Einige Kinder nahmen kein Bild, weil sie schreinbar keine Lust hatten, während andere lieber ein Bild gemeinsam nehmen wollten. Damit hatte ich gerechnet, es überraschte mich jedoch, dass manche Kinder so gar kein Interesse zeigten. Das verunsicherte mich dann doch.

Trotz dieser Verunsicherung erklärte ich den Kindern die Unterscheidung von kurzem und langem Glück. Nacheinander durften die Schüler*innen dann nach vorne ans Whiteboard kommen und kurz erklären, auf welche Seite – kurzes oder langes Glück – sie ihre Bildkarte hängen wollen. Diese Phase zog sich jedoch hin. Manche Kinder wirkten gelangweilt, einige legten sich sogar auf die Sitzbänke. Ein Kind stöhnte: „Mir ist so langweilig.“ Innerlich ratterte es bei mir: Soll ich abbrechen oder weitermachen? – Die Phase dauert zu lange. Aber wenn ich sie abkürze, bin ich vielleicht zu schnell fertig. Aus Unsicherheit zog ich die Phase durch, auch wenn ich merkte, dass die Aufmerksamkeit schwand. Improvisation traute ich mir nicht zu.

 Nach etwa fünf weiteren Minuten war die Phase endlich vorbei und wir gingen zu einer kreativen Übung über, wo die Schüler*innen eigene Glücksmomente malen durften. Dazu konnten sie entweder frei in ihr Lerntagebuch malen oder verschiedene Ausmalbilder nutzen. Ein Schüler fragte mich, ob er auch mit anderen zusammen malen dürfe. Ich verneinte, da ich mir vorgestellt habe, dass jedes Kind in mit dieser Übung nochmal in die Reflexion geht. Rückblickend hätte ich jedoch flexibler sein sollen, denn dieser Schüler hat die restliche Stunde nichts mehr gemacht. In Teamarbeit hätte er vielleicht zumindest im Dialog über das Thema reflektiert.

Immer wieder hatte ich den restlichen Tag den Satz des Mädchens im Kopf – mir ist langweilig. Und was auch immer in der Stunde alles gut funktioniert hat, wurde von diesem einen Satz überschattet.

Dem anschließenden Reflexionsgespräch konnte ich kaum folgen. Die Worte der Besucher*innen drangen nicht richtig zu mir durch. Ich war enttäuscht. Enttäuscht, dass die Stunde nicht so verlaufen ist, wie ich es mir ausgemalt habe. Enttäuscht, dass meine Nervosität meine Spontanität gehemmt hat. Enttäuscht, dass ich meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht geworden bin – und am Ende enttäuscht über mich selbst, weil ich mich so sehr in diese Enttäuschung hineinsteigerte.

Am Abend setzte ich mich mit meinem Notizbuch hin und ließ den Besuch noch einmal Revue passieren. Ich fragte mich: Was ist da eigentlich genau passiert? Was hätte ich konkret anders machen können? Worauf kann ich beim nächsten Mal achten? Und vor allem: Was habe ich denn eigentlich gut gemacht? All diese Fragen noch einmal für mich zu beantworten, in Ruhe und ohne das Gefühl, mich vor irgendwem rechtfertigen zu müssen, hat mir unheimlich geholfen. Ich konnte meinen ersten Unterrichtsbesuch noch einmal aus einer nüchternen Distanz betrachten und daraus lernen. Damit ich beim nächsten Mal entspannter sein kann.

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