In Deutschland spricht etwa jedes fünfte Kind mehr als eine Sprache [2]. Unser Bildungssystem hingegen ist sehr monolingual ausrichtet und bietet kaum Raum für Mehrsprachigkeit. Vielmehr wird Kindern oft verboten, in der Schule eine andere Sprache als Deutsch zu sprechen. Auch wenn mehrsprachige Kinder manchmal etwas länger im Sprachlernprozess brauchen, ist bewiesen, dass sie später leichter neue Sprachen erlernen. In unserer globalisierten Welt ist das ein enormer Vorteil und deshalb eine große Ressource, die in der Schule viel stärker wertgeschätzt werden sollte. [2,3]
Bis vor einigen Jahren war das Vorherrschende Sprachenmodell noch das Code-Switching. Dieses Modell besagt, dass mehrsprachige Menschen zwischen den Sprachen hin- und herschalten, also bewusst entscheiden müssen, welche Sprache sie nutzen. Dabei war die Überzeugung, dass sie die Sprachen strikt voneinander trennen.
Das Konzept des Translanguaging löst dieses Modell nun ab. Mehrsprachigkeit bedeutet nämlich nicht, dass ein Mensch mehrere Sprachen sauber getrennt voneinander beherrscht. Stattdessen ergänzen sich die Sprachen und bereichern sich gegenseitig. Translanguaging bietet die Möglichkeit, dieses Zusammenspiel der Sprachen auch im Unterricht zu nutzen. Es geht dabei nicht darum, dass in jeder Situation jede beliebige Sprache verwendet werden soll. Vielmehr sollen Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen Mehrsprachigkeit ihren Platz findet. Dies kann durch Wörterlisten im Klassenzimmer oder durch Aufgaben geschehen, die in der bevorzugten Sprache der Kinder bearbeitet werden. Eine Aufgabe könnte zum Beispiel in einer Sprache erarbeitet und in einer anderen diskutiert werden. [1]
Die Linguistin Ophelia García, die das heutige Konzept des Translanguaging maßgeblich weiterentwickelt hat, beschreibt vier Rollen, die Lehrkräfte in diesem Zusammenhang einnehmen können:
- Detektiv*in. Hier stellst du dir die Fragen: Was weiß das Kind bereits ? Wie stellt es Bedeutung her? Auf welche sprachlichen Ressourcen greift es dabei zurück? Um diese Fragen zu beantworten, kannst du mit verschiedenen Fachkräften, Eltern und anderen Personen zusammenarbeiten.
- Co-Lernende. Du fragst dich: Was kann ich von dem Kind lernen – von seinen Interessen, seinem Wissensschatz und seinem Sprachenschatz? Wie nutze ich Handlungskompetenzen im Klassenzimmer? Dazu ist ehrliches und aufrichtiges Interesse der Lehrkraft an den Schüler*innen notwendig.
- Baumeister*in. Hier fragst du: Wie baue ich einen Raum der Gemeinsamkeit und Nähe, der die Unterschiede der Lernenden in Bezug auf soziokulturellen Hintergrund, Herkunft und Geschlecht überbrückt und in dem die Lernenden entsprechend ihrer Interessen und Fähigkeiten zusammenarbeiten können? Wie gestalte ich Lernangebote, die Interessen und Engagement aufgreifen? Freie Wahlmöglichkeiten und Autonomie für die Schüler*innen sind dabei besonders wichtig.
- Transformator*in. Du stellst die Fragen: Wie kann ich Kindern ermöglichen, die ihnen durch gesellschaftliche Strukturen zugeschriebenen Rollen und die damit verbundenen Zuschreibungen wahrzunehmen und sie kritisch zu hinterfragen? Wie kann mein Unterricht einen Beitrag dazu leisten, die durch gesellschaftliche Positionen vorgezeichneten Lebenswege für Kinder zu verändern? Für die Beantwortung dieser Fragen ist es notwendig sich intensiv mit Diskriminierung und Bildungschancen auseinanderzusetzen. [1]
Abschließend möchte ich noch einmal die Gründe für Translanguaging hervorheben: Das Konzept wertschätzt und fördert die Mehrsprachigkeit der Schüler*innen. Ihre mehrsprachige Identität wird anerkannt und gestärkt. Für Schüler*innen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, können Texte in ihrer Muttersprache zur Verfügung gestellt werden, um auch für sie komplexe Texte, die sie auf deutsch nicht verstehen würden, zugänglich zu machen. Künstliche Intelligenz kann dabei eine große Unterstützung sein. [1,4]
Und noch ein letzter Kommentar: Translanguaging funktioniert natürlich nicht nur für Lautsprachen, sondern kann auch auf Laut- und Gebärdensprache angewendet werden. [4]
Literatur:
[1] Pultzar, V. (2020). Translanguaging. Hintergründe, Zugänge und Umsetzungsmöglichkeiten. Ein Konzept zur Einbindung der Sprachen von Schüler*innen im Regelunterricht mit einer Beschreibung der Umsetzung an einer Wiener Neuen Mittelschule. Auftrag des Europa Büros der Bildungsdirektion Wien im Rahmen der Interreg-Projekte AT-CZ, AT-HU, SK-AT. Bildungskooperationen in den Grenzregionen. https://europabuero.wien/files/BIG_SKAT_Konzept_Translanguaging.pdf [aufgerufen am 09.10.2024].
[2] Mediendienst Integration (2024). Mehrsprachigkeit. https://mediendienst-integration.de/integration/mehrsprachigkeit.html [aufgerufen am 09.10.2024].
[3] Huber, O. (2023). Wenn Sprachenvielfalt ein Vorteil ist. BR: Tagesschau. https://www.tagesschau.de/wissen/forschung/muttersprache-mehrsprachigkeit-100.html [aufgerufen am 09.10.2024].
[4] De-Sign Bilingual (2019). Languaging und Translanguaging – eine neue Perspektive auf Mehrsprachigkeit. file:///Users/janina/Downloads/Translanguaging.pdf [aufgerufen am 09.10.2024].